Über 10.000 Menschen demonstrieren für ein freies Netz: SaveYourInternet in Stuttgart
Die ganze Rede von Anja Hirschel bei der Stuttgarter Demo #SaveYourInternet – Stuttgart gegen Artikel 13 am 23.03.2019
So viele anwesend, wow!
als ich im letzten Jahr in Stuttgart stand und über die Urheberrechtsreform und Artikel 13 gesprochen habe, konnte ich die Teilnehmer noch einzeln begrüßen.
Es hieß „das Thema versteht doch keiner“, „das ist alles zu abstrakt“ oder auf gut schwäbisch „des verschdont doch koi Sau“.
Das aber heute so viele hier sind zeigt mir, dass es eben doch viele Menschen gibt, die ganz natürlich im Netz unterwegs sind und die Folgen des Entwurf verstehen können.
Heute muss ich nicht nochmal erklären, was die Urheberrechtsreform, insbesondere Artikel 11-13 bei, ihr wisst es bereits, (wobei Artikel 13 nun Artikel 17 heißt), sonst wärt ihr nicht hier.
Wen die Rede vom letzten Jahr interessiert, schaut bitte auf dem Youtube Channel der Piraten BaWü nach.
Aber nicht nur ihr wisst es, in über 70 Städten finden heute Demonstrationen statt. In Deutschland, Niederlande, Schweiz, Frankreich, Slowenien, Tschechien, Österreich. Und sogar in Barcelona!
Edward Snowden hat den Aufruf von #SaveYourInternet ebenfalls unterstützt und geteilt.
Und jetzt mischt sich sogar die katholische Kirche ein, liebe CDU/CSU, wenn man den Entwurf von einem Bischof, um die Ohren gehauen bekommt, dann hat man (ich kann es nicht anderes sagen) einfach verkackt, „C“ im Namen hin oder her.
Bischof Gebhard Fürst sagte gestern: „Mit menschlicher Arbeit geschaffenes muss geschützt und gerecht entlohnt werden.“ [ich schiele mal zu Artikel 12]
und weiter „Es muss aber auch verhindert werden, dass Konzerne und Algorithmen darüber entscheiden, welcher Content (Inhalt) letztlich auf den Plattformen landet.“ [Uploadfilter]
und „Ansonsten ist nicht gewährleistet, dass Kulturgut und auch Information von möglichst vielen verschiedenen Urhebern möglichst vielen Nutzern zur Verfügung gestellt werden können.“ [Bedrohung freier Lehrmaterialien usw.]
Chapeau für diese Sätze, eure Exzellenz! Und das wo die Kirche nicht gerade als jung und netzaffin gilt.
Doch jetzt stellen wir uns einmal vor, wir hätten nichts von den Plänen erfahren, es wäre einfach im stillen Kämmerchen beschlossen worden. Ein einziger Pirat im Europaparlament hat gereicht, um die Entwürfe und drohenden Folgen öffentlich zu machen.
Was seitdem passiert ist, macht mich aber ehrlich fassungslos.
Wer mir auf Twitter folgt weiß, dass ich ursprünglich ein „Best-of“ der ganzen Falschbehauptungen, taktischen Ablenkungsmanövern und Peinlichkeiten der letzten Zeit aufstellen wollte. Aber ganz ehrlich, dann stünden wir heute Abend noch hier. Unter den Hashtags #vollvosten #axelsurft und #nobots sind die beiden Memes und vor allem Screenshots von Tweets, die verschwinden nicht so leicht, sowieso schneller auffindbar.
Es ist offensichtlich, dass Menschen über die Zukunft des Internet entscheiden, die absolut nicht verstehen wie das Netz funktioniert und welche Rolle es einnimmt für Kultur, Bildung und Freiheit. Die Äußerungen zu Google-Memes und Uploadfiltern sind auf niederstem populistischen Niveau und dazu technisch einfach unwichtig.
Und wo vernünftige Argumentation oder (bewahre) Fachvokabular fehlt, da werden einfach die Proteste verunglimpft!
* die Kritik sei unbegründet
* niemand habe den Entwurf gelesen oder verstanden
* 5 Mio. Unterzeichner einer Petition seien nur Bots
* alles würde gelenkt von Plattformen aus den USA
* Mail an die Abgeordneten seien automatisiert, denn ein Mensch würde nicht mit Gmail arbeiten. (Nun ja, vielleicht kein Datenschützer aber doch recht viele echte Menschen)
Nach dem heutigen Tag, spätestens jetzt, wird der Politik klar werden müssen: Hier stehen Menschen und WIR.SIND.KEINE.BOTS!
Es geht uns hier nicht, um das Geschäft der großen Plattformen wie gern behauptet wird, Diese verdienen immer genug. Es geht uns um die gerechte Entlohnung der Kreativen und Künstler und ja, auch Journalisten. Um unser Recht zu zitieren, zu remixen, zu streamen, Content hochzuladen und zu teilen.
Und das ist auch die Schweinerei an der Reform: Ausgerechnet diejenigen, für die die Reform angeblich sein soll, genau diejenigen bekommen noch weniger als vorher und müssen gleichzeitig höhere Auflagen umsetzen, die kaum machbar sind. Die großen Gewinner sind letztlich die Verwertungsgesellschaften und Filteranbieter.
Wenn dabei die Vielfalt auf der Strecke bleibt, verarmt die Netzkultur.
Wie sollen denn die Regularien eingehalten werden, Wenn nicht mit Uploadfiltern? Wer nicht verklagt werden möchte, ist dann gezwungen die notwendige Filtertechnologie einzukaufen und einzubetten.
Wenige große Filteranbieter wissen dann nicht nur Wer, Wann, Was gepostet hat – sie können es auch verhindern!
Und wenn ich ich das Stichwort „weltweite Content Datenbank“ höre stellen sich mir als ITler die Nackenhaare auf, nicht nur wegen den Folgen für die Freiheit. Allein schon aus Performance-Gründen wäre das absoluter Wahnsinn.
Bereits jetzt gibt es die Auswirkungen von Filtern zu spüren, wenn das Bild eines Keyboards in Kleinanzeigen falsch als Pistole identifiziert wird oder leckere Pfirsiche für nackte Hintern gehalten werden.
Im Einzelfall ist das witzig, insgesamt aber ein absoluter Albtraum.
Versteht mich nicht falsch, auch wenn die Technik schon besser wäre als sie jetzt ist, sage ich NEIN!
Ist eine Filter Infrastruktur erst einmal installiert, steht sie schlüsselfertig bereit – ein Update der zu filternden Schlagwörter und *zack“ sind unerwünschte Meinungen verschwunden, noch ein Update und Kritik verstummt automatisch.
Mir ist es scheißegal, wie die Einführung begründet wird, sei es Wirtschaftsurheberrecht oder Terrorvorbeugung – ein Filter oder ein Algorithmus (von KI möchte ich noch gar nicht reden), kennt keinen Humor, kein Zitat und keine Ethik. Ob sie missbraucht werden, liegt dann ohne jegliche demokratische Kontrolle in den Händen weniger.
Solch ein Instrument darf nicht installiert werden. Bei jedem Angriff auf die Grundrechte sage ich es wieder und vielleicht kommt es irgendwann in den Köpfen an: „Erlaube deiner liebster Regierung nur das, was du auch der am schlimmsten denkbaren Regierung erlauben würdest.“
Es sind nicht nur Uploadfilter auch verschlüsselte Kommunikation wird plötzlich als kriminell dargestellt. Anonymisierungsdienste, Tor-Netzwerke, Darknet an sich – sind das nächste was verschwinden soll. Dabei handelt es sich um die Grundlage für funktionierenden IT-Sicherheit und unbewachte Kommunikation.
Es gefährdet damit auch unsere Wirtschaft, über 130 IT-Firmen haben die Reform in einem offenen Brief als schädlich kritisiert. Wie viele Fachleute sollten nicht ignoriert werden?!
Doch machen wir uns nichts vor, Sachargumente sind besonders in der Phase vor einer Wahl nicht gefragt.
Dann nennt uns eben Bots, es ändert nichts an der Tatsache, dass wir heute gemeinsam protestieren und für ein freies Netz kämpfen. Aus einer Stimme wurden tausende! Keiner kann morgen noch behaupten, die Proteste wären nicht echt.
Und ich habe die Bilder nicht vergessen, mit denen die GEMA sich über die Proteste lustig gemacht hat.
All die Lügen die erst verbreitet, dann geleugnet wurden, als man versucht hat uns alle für dumm zu verkaufen.
Das Netz vergisst nicht.
Wir vergessen nicht.
Wir vergeben nicht.
Und ich rufe allen Abgeordneten zu:
Habt endlich die notwendige Demut vor eurem Amt, ihr wurdet mit unseren Stimmen, jeder einzelnen gewählt!
Unsere Vertretung zu sein ist euer verdammter Job!
Und wenn ihr das Netz schon nicht versteht, dann macht es wenigstens nicht kaputt!
Mein Name ist Anja Hirschel und ich bin stolz, Piratin zu sein!
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